Gastgeber:innen: Eva Geulen (Akademiemitglied, Literaturwissenschaftlerin, Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung) und Horst Simon (Projektleiter Akademienvorhaben „FSL digital“, Linguist, Freie Universität Berlin) Von Mauerfall bis Musterdialog: Vier Veranstaltungen erzählen vom Glück der Wende, den Schatten der Geschichte, von gefälschten Briefen und fluchenden Kaufleuten. Ein Abend über Orte und Erinnerungen, über Sprache und Konflikte – literarisch, wissenschaftlich, unterhaltsam.
9. November 1989. In Berlin fällt die Mauer. Es ist einer der glücklichsten Momente der deutschen Geschichte. Ines Geipel ist bereits im Sommer in den Westen geflüchtet und erlebt den Zeitriss, die Hoffnungen und Aufbrüche als Studentin in Darmstadt. 35 Jahre danach erinnert sie sich: Wie fühlte er sich an,
dieser historische Moment des Glücks? Wie erzählen wir uns Ost und West und die Wiedervereinigung? Woher kommt all der Zorn, woher die Verleugnung, wenn es um den aktuellen Zustand des Landes geht? Ines Geipel geht in ihrem Buch „Fabelland. Der Osten, der Westen, der Zorn und das Glück“ noch einmal zurück: Zurück in die politische Umbruchslandschaft nach 1989, in die eigene Familie, zurück in die verstellten, besetzten Räume der Erinnerung, zurück zu den Verharmlosungen und Legenden, die die Gegenwart so vergiften.
Der Roman „Wunder Bunker“ erzählt vom Bau des größten Bunkers Deutschlands mit seinen Konzentrations- und Arbeitslagern als Chiffre deutscher und europäischer Geschichte im Übergang von den vierziger zu den fünfziger Jahren. Als historischer Roman deckt er die Kontinuitäten in dieser Geschichte auf, als literarische Parabel und Tierfabel entfaltet er aus der Perspektive einer Silbermöwe humorvoll die Abgründe menschlichen Daseins, als biographische Skizze beleuchtet er unterschiedliche Figuren von Lagerinsassen aus ganz Europa, von Architekten und Ingenieuren, von Wachmannschaften und scheinbar unbeteiligten Nachbarn als Psychogramm der Zeit, als Thriller entfaltet er die Spannungen zwischen brutaler Gewalt und ästhetischem Widerstand. Ottmar Ette (Akademiemitglied, Romanist und Romancier, Universität Potsdam) stellt seinen Roman vor. Mit Lesung von Textauszügen durch Friederike Butzengeiger (Schauspielerin und Sprecherin).
Auch unter Historikern beliebt ist, Konflikte zu „lösen“, indem man sie im Wortsinn aus der Welt schafft – ihre Existenz leugnet und die Zeugnisse beseitigt oder fälscht. Die Literaturgeschichte ist voll von Geschichten erfundener, veränderter und auch unterdrückter Texte. Unter dilettantischen und selbst professionellen Herausgebern weit verbreitet war seit dem 18. Jahrhundert die „Bearbeitung“ von Briefen, um Konflikte zwischen Briefpartnern zu vertuschen, vor der Nachwelt ungehörige Liebschaften zu verbergen oder auch Schwächen zu übertünchen. Der Vortrag stellt Beispiele aus der Briefeditorik des 18. und 19. Jahrhunderts vor, ausgehend von frühen Drucken aus Jean Pauls Briefwelt, aber nicht auf sie beschränkt. Ein Vortrag von Angela Steinsiek (Jean Paul Edition, BBAW)
In historischen Fremdsprachenlehrwerken finden sich häufig Musterdialoge, die Kaufleute auf derbe Wortgefechte vorbereiten sollen, wenn es ums Aushandeln von Preisen geht. In den Lehrwerken enthaltene Listen geeigneter Beleidigungen zeigen, dass wirklich drastisch verhandelt und mitunter betrogen wurde. Umso schöner, wenn das Feilschen in Einigung endet und traditionsgemäß feuchtfröhlich begossen wird. Das interakademische Vorhaben „Historische Fremdsprachenlehrwerke digital“ (FSL digital) beleuchtet in einer kommentierten szenischen Lesung den Charakter dieser Textsorte sowie Konfliktlösungen von Personen, die nicht immer die gleiche Sprache sprechen.
Mit Elena Bandt, Liv Büchler, Josephine Klingebeil (Akademienvorhaben „FSL digital“, BBAW) und Horst Simon (Freie Universität Berlin, Projektleiter Akademienvorhaben „FSL digital“).